Frühjahrsstart unter Mandelbäumen
Die Sonne treibt sie ans Licht, spätestens im Februar ist sie derart in Hochform, dass es keine Blüte mehr in ihrer Knospe hält: Ein Schönheitswettbewerb in weiss und rosa beginnt. Dann kann auch in der sonst ruhigen Zentralebene der Balearen-Insel um Alaro vom Schweigen der Lämmer keine Rede mehr sein. Zwischen den braun-beigen wolligen Leibern erwachsener Schafe sind einige weiße eingestreut, die als junge Lämmer teilweise quicklebendig ihren Übermut durch lebhaft-waghalsige Sprünge zur Geltung bringen. Auch einige braune sind darunter. Auf den Frühlingswiesen sind sie jedenfalls nicht zu überhören.
Im Jahre 903 unmittelbar nach der Eroberung der Balearen durch die Mauren pflanzten diese die ersten Mandelbäume. Sie bildeten die Grundlage für den inzwischen weit verbreitetsten Baum der Insel. Jedes Jahr verwandeln sich im zeitigen Vorfrühling weite Teile der Ebene bei Montuiri in ein zartweiß- bis rosafarbenes Meer. In mehr als 50 Sorten blühen sie und geben der Insel ihr eigenes ganz persönliches Flair.
Von Prunus dulcis, dem süßen Mandelbaum, bis amara reicht die Palette, wobei letztere als die bittere Variante Amygdalin enthält, eines der gefährlichsten pflanzlichen Gifte, dem Zyankali. Doch bevor der leicht bittere Geschmack, den ein köstlicher Nachtisch normalerweise hinterlässt, tödliche Folgen habe, müsse man schon mindestens zehn bittere Mandeln pur gegessen haben, zerstreut man meine Sorgen an der Hotelbar. Und so viele werde kein Bäcker zu einem Kuchen verarbeiten, es sei denn, er meine es nicht gut mit seinen Kunden. Also bloß nicht aufmüpfig werden…
Die Bauern um Montuiri pflegen schon seit Jahrhunderten die Tradition des Mandelanbaus. Seit jeher werden hier in den Pflanzschulen neue Bäume aufgezogen. Nach zwei Jahren, wenn ein Bäumchen schon wenigstens einige hundert Blüten ausgebildet und der Stamm die erforderliche Dicke erreicht hat, schneidet man ihm die Zweige ab und pfropft ihn mit der Blüte der gewünschten Sorte. Voll entwickelt sind die Bäume dann nach etwa 10 bis 15 Jahren. 45 arbeits- und ertragreiche Jahre später ist es mit der Blütezeit der Mandel vorbei, der Baum zerfällt zusehends und steht nunmehr zerfurcht und ausgemergelt zwischen seinen fruchtbringenden Nachbarn.
Beruhigend und anrührend zugleich, die von Blüten überbordenden Bäume, deren Wuchs man ansieht, dass sie nicht erst gestern gepflanzt wurden. Viel zu jung, um alt genannt zu werden, aber alt genug, um zu zeigen, wie hart sie kämpfen mussten, um zu bestehen. Jetzt haben sie Charakter, an ihren Früchten, würde man es erkennen, d.h. schmecken sagen Kenner. In der Blütezeit sind die Mandelbäume nicht zu toppen. Sie blühen meist schon, bevor die Blätter austreiben, den Bienen zuliebe aber nicht ohne Eigennutz, könnte man meinen.
Wer während der Blütezeit durch die frisch gepflügten, farbig-braunen Felder wandert, auf denen die Mandelbäume sich wie überdimensionale Blumensträuße entfalten, lässt den Alltag rasch hinter sich. In Gedanken versunken, gelingt es vielleicht sogar aus dem Gesumme der unzähligen Bienen schwärmerische Botschaften herauszuhören. Angeregt durch den süßen betörenden Duft, scheinen sie wie von Sinnen und auch ich kann mich, will mich des Zaubers nicht verwehren. Schauen und tief die Wohlgerüche einatmen, neue Bilder sammeln – ein update der Erinnerungen, Szenen, an denen man sich nach einem mehr oder weniger harten Winter der Blüten erfreuen kann.
Doch so reichhaltig die Sinneseindrücke auf der Insel, umso knapper jedoch die Ressourcen an Wasser. Nicht ein einziger Fluss versorgt Mallorca mit dem Lebenselexier „Wasser“ und die einzigen vom Grundwasser unabhängigen Quellen, Font Santa und Font Sa Bassa bei Campos, sprudeln statt Trinkwasser 38,7 Grad heißes, schwefelhaltiges leicht radioaktives Heilwasser aus der Erde.
Das Trinkwasser fällt auf Mallorca vom Himmel und wird vom porösen Kalkstein in unterirdischen Zisternen gespeichert. Im Norden der Insel können das bis zu 1 500 Millimeter pro Quadratmeter im Jahr sein, die sich auf den höchsten Gipfeln wie dem Puig Major mit 1443 Metern und den 1348 Metern des Puig de Massanella auch in Form von Schnee niederlassen, von einzelnen Unwetterereignissen wie denen des letzten Sommers abgesehen. In der Ebene dokumentieren die zahlreichen Windräder die Wasserversorgung der landwirtschaftlichen Fläche mit Hilfe unterirdischer Reserven.
Eine Spezialität vom Lande sind Schnecken. Mallorquiner sind leidenschaftliche Sammler und immer wenn sie vom Sammeln kommen, stöhnen sie und übertreiben gern auch ein bisschen. Normalerweise sammele er sechs bis sieben Kilo in zwei Stunden versucht mir der Küchenchef zu erklären. Naja, denke ich … fünf Kilo okay, aber sieben? Schauen sie mal in den Topf, die Schnecken kochen bereits im Kräutersud freut er sich über mein Interesse und führt mich gastfreundlich an seinen „Arbeitsplatz“. Sellerie, Pfefferminze, Thymian, Petersilie, kleinblättriges Basilikum, Salbei, Zitronenmelisse und viel wilder Fenchel gehören zur Mischung, die meine Neugier weckt. Nach einer langen Wanderung über Stock und Stein ist ein regionales Gericht genau das richtige, die Landschaft mit allen Sinnen zu erleben.
Wer seinen Kaffee etwas mondäner einnehmen möchte, findet an vielen Stellen der Touristenmeile dazu Gelegenheit. Das erste „Cappucino“ öffnete an der Uferpromenade in Palma Nova, das zweite am Paseo Maritimo in Plama, das dritte im Stadtpalast am Carrer Sant Miquel und dann im Hafen von Portal Nous. Damit wurde das Grand Café Cappuccino die erfolgreichste Kaffeehauskette auf Mallorca.
Eine Straußen-Wirtschaft ganz anderer Art erleben wir in der Nähe der vielen Gehege, in denen die afrikanischen Laufvögel neugierig ihre Hälse recken. Über ein Dutzend Betriebe züchten die großen Vögel. Victor Estrany gerbt das Leder in Mancor de la Vall und verkauft es weiter an die Lederwarenfabrik Barrats in Inca, die im fabrikeigenen Laden für das Paar Schuhe gut (210-240) 200 Euro verlangt. Sie sei mit Ihrem Mann aus Südafrika hierhergekommen, erklärt mir die junge Frau auf Englisch. Nun wollen sich beide hier eine Existenz aufbauen und vermarkten vom künstlerisch verzierten Straußenei über schmucke Federn bis hin zum Steak alles, was dazugehört. Ein Unternehmer braucht nicht nur Sachkenntnis, sondern vor allem Visionen denke ich und bewundere den Wagemut.
Neben den Eseln, die mit knapp ein PS so manchem Ur-Mallorquiner als fahrbarer Untersatz dienen, sind es die schwarzen Schweine neben der Straße, die mich plötzlich Anhalten lassen. Da sind sie, jene schwarzen Weideschweine, die die Intensivhaltung in Deutschland unter den harten Wettbewerbsbedingungen des EU-Agrarmarktes an den Rand gedrängt hat. Sie sind robuster und widerstandsfähiger als ihre schwergewichtigen rosa-Verwandten, die auf hygienischen Spaltenböden möglichst schnell an Körpermasse zulegen sollen. Die hier unter Obstbäumen weidenden Artgenossen sind kleiner und wendiger, robuster und widerstandsfähiger. Zudem ist ihr Fleisch saftiger und qualitativ hochwertiger als das der Turbo-Verwandtschaft. Nicht nur Feinschmecker wissen den Bio-Charakter zu schätzen.
Das Borstenvieh ist bereits seit dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend auf Mallorca in der Obhut des Menschen und erfreut sich wieder zunehmender Beliebtheit. Schon der griechische Historiker Diodorus Siculus berichtete von seiner vollumfänglichen Nutzung. Die berühmt-berüchtigten balearischen Steinschleuderer rieben ihren Körper mit Schweineschmalz ein, nachdem sie sich am Fleisch des Tieres gelabt hatten, weiß er zu berichten. Im Mittelalter erwähnte der Philosoph und Theologe Ramón Llull das Schwein bereits in seinen Chroniken und später wurde das „porc negre“ zu einem Qualitätsexportartikel der Insel.
Über viele Jahrhunderte war daher das Schlachtfest auf dem Land eine wichtige Tradition, um die Ernährung für das gesamte Dorf während der Wintermonate sicherzustellen. Mitte des letzten Jahrhunderts gerieten angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs durch den Touristenboom einige ländliche Traditionen an den Rand der Vergessenheit. Für viele Familien lohnte sich das Mästen eines Hausschweins nicht mehr, war allenfalls etwas für Romantiker und Traditionalisten, das Schlachten nur noch für hauptberufliche Metzger und Industriebetriebe eine lohnende Betätigung.
Heute, wo man sich wieder auf alte Bräuche rückbesinnt, sind einige ländliche Familien wieder zum Schwein zurückgekehrt. Sie züchten wieder selber und verbinden die „fachgerechte Hausschlachtung“ nicht selten dann auch mit einer Feier für die gesamte Familie. So gilt die Teilnahme an einer „matanca“ auch heute noch als die beste Möglichkeit, eine mallorquinische Familie kennenzulernen. Hier erschließen sich Wesen und Mentalität der Einheimischen, die sich über die Familienbande hinweg sehr nahe sind und dennoch den Freiraum des anderen respektieren.